Der Friede von Stans

Nach dem militärischen Sieg über Herzog Karl den Kühnen stand die junge Eidgenossenschaft auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Gewaltige Reichtümer strömten ins Land. Es galt, den Bund auf eine neue, solidere Grundlage zu stellen. Insbesondere erhoben die Städte Solothurn und Fribourg die berechtigte Forderung, als vollwertige Mitglieder in das Bündnis integriert zu werden.
Doch damit drohte der Bund aus dem Gleichgewicht zu geraten. Bislang waren in ihm fünf Landorte mit drei Städten vereint. Wenn nun zwei weitere Städte dazu kamen, war es absehbar, dass die Landorte bald nur noch Randorte sein würden.

Zwei Jahre lang dauerten die von vielen Ängsten gefährdeten und von oftmals hässlichen Schmähungen vergifteten Verhandlungen. In diesem Prozess kam Niklaus von Flüe die Stellung des Vermittlers zu. Er stand unübersehbar klar über den Parteien. Kein persönliches Interesse mischte sich in seine Ratschläge und Bitten. Unter allen Beteiligten war das Zutrauen zu ihm gross.

Nach fünf Entwürfen war das Vertragswerk mit seinen grossen Zügen und seinen vielen kleinen Details endlich ausgehandelt. Es wurde von den Landsgemeinden und den städtischen Räten genehmigt. Kurz vor Weihnachten sammelte sich die Tagsatzung in Stans, um das neue Bündnis zu beschwören und die Verträge zu besiegeln. Doch Solothurn forderte Nachbesserungen, und innert kürzester Zeit waren die Abgeordneten heillos zerstritten. Am Abend des 21. Dezembers gingen sie im Zorn auseinander, überzeugt, dass diese Streitsache nur mit einem Krieg zu entscheiden sei.

Heini am Grund eilte mit seinem Kaplan in den Ranft und war am Morgen des 22. Dezembers zurück. Er lief von Gasthaus zu Gasthaus und beschwor die Abgeordneten, noch einmal zusammenzukommen, „in Gottes und in Bruder Klausens Namen“. Er habe einen dringenden Rat vom Einsiedler an sie. Und tatsächlich: Die Delegierten liessen sich bewegen, noch einmal zusammenzukommen, und noch im Verlauf des Vormittags war das Bündniswerk besiegelt. Damit, hält das Protokoll der Tatsatzung ausdrücklich fest, konnte man „heimbringen die Treu, Mühe eund Arbeit, so der fromme Bruder Klaus in diesen Dingen getan hat“. Das war die übliche Formulierung, mit der man einem offiziellen Vermittler seine Mühen dankte.

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Heini am Grund und sein Kaplan bei Bruder Klaus und in Stans unter den Abgeordneten der Tagsatzung, Luzerner Bilderchronik des Diepold Schilling, 1513

Was war geschehen? Bis heute ist unbekannt, was genau Niklaus den Abgeordneten sagen liess. Sie mussten Stillschweigen schwören und haben sich erstaunlicherweise alle an dieses Gelübde gehalten. Deshalb ist nur das Resultat bekannt: Solothurn und Fribourg willigten ein, weiterhin als Partner minderen Rechts in den Bund einbezogen zu sein. In einem Bundesbrief, den nur sie siegelten, erneuerten die acht alten Orte zuerst ihr Bündnis und schlossen dann gemeinsam den Vertrag mit den beiden Städten. Damit behielten die Landorte etwas von dem Gewicht ihrer numerischen Überlegenheit. So blieb das Gleichgewicht von Stadt und Land erhalten.

Mit dem Bundesbrief von Stans hatte die Eidgenossenschaft zum ersten Mal zu einer Ordnung gefunden, die Züge eines tragfähigen Verfassungsrechts enthielt. Dieses Bündnis vermochte auch die tiefen Verwerfungen und Gräben im Gefolge der Reformation und Gegenreformation zu überdauern. Bis zum Einmarsch der Truppen Napoleons  blieb es der Garant der eidgenössischen Verbundenheit. Sein Erbe reicht jedoch noch weiter, bis in die moderne Schweiz. Auch die  gegenwärtig gültige politische Ordnung verleiht den Kleinen verhältnismässig zu grosse Rechte; und dieser überproportional grosse Einfluss der Landorte hat einer umfassenden Dominanz der städtischen Zivilisation bis heute Grenzen gesetzt.

Es lässt sich mit guten Argumenten sagen, dass Niklaus von Flüe die Grundlagen gelegt hat für den Zusammenhalt und die politische Ordnungskraft der Schweiz